Porträt von Stefan Keim

Sandra Strunz, geboren 1968 in Hamburg. Regieausbildung bei Jürgen Flimm an der Hochschule der Künste in Hamburg und inszenierte erste Arbeiten in der Kampnagel-Fabrik Hamburg und in der Kaserne Basel. Mit der Produktion "Parzival" erhielt sie 2000 eine Einladung zum Festival Impulse. Sie arbeitete an den Stadt- und Staatstheaters in Luzern, Stuttgart, Frankfurt am Main, Hannover, Freiburg und am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg. Für ihre Adaption von Thomas Bernhards Roman "Frost" erhielt sie 2000 den Bensheimer Gertrud- Eysoldt-Preis für die beste Nachwuchsregie.

Die Ritter tragen Jogginghosen. Junge Leute projizieren Bewegungslust, Sinnsuche und Spermastau in die Geschichte des "Parzival". Wolfram von Eschenbachs Versroman ist die lose im Blick behaltene Grundlage für einen energiegeladenen, zweieinhalbstündigen Theaterabend, mit dem die Regisseurin Sandra Strunz überregional bekannt wurde. Die Einladung zum Impulse-Festival, dem Bestentreffen der Off-Theater aus Deutschland, Österreich und der Schweiz öffnete viele Türen, auch zu den großen Bühnen. Doch bis heute arbeitet Sandra Strunz auch immer wieder im freien Theater und lässt sich nicht so leicht auf einen Stil fest legen.

Eins haben allerdings fast alle ihre Inszenierungen gemeinsam: Humor, gern schwarz und schräg, und eine immer neue Suche nach der Form. Die Neuausleuchtung klassischer Stoffe nahm in den ersten Jahren nach 2000 größeren Raum ein. Da inszenierte sie am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg Henrik Ibsens "Frau vom Meer" in einem gekachelten Quadrat mit Blick auf ein Aquarium-Meer hinter Glaswand. Die Wasserwelt ist eine Parallelgesellschaft, die Sehnsucht nach ihr lässt niemals nach. Sandra Strunz zeigt sieben Zwillingspaare, die natürlich nicht bei Ibsen stehen. Sie stehen für die Zerrissenheit aller Figuren und natürlich vor allem der Titelheldin, die sich für eine Lebenssphäre entscheiden muss, es aber nicht kann.

Die Aufführung fand nicht auf der großen Bühne, sondern im Malersaal statt. Vielleicht trauten die Intendanten in dieser Zeit einer jungen Querdenkerin nicht den Klassiker im Großformat zu. Sandra Strunz jedenfalls profilierte sich in den folgenden Jahren mit anderen Stoffen. Romanbearbeitungen spielen eine große Rolle, wobei sie sich oft komplexe, dicke Wälzer aussucht, in die eine Theateraufführung nur Schneisen schlagen kann. Wie Orhan Pamuks "Schnee" in Freiburg, die Aufführung wurde übrigens mit türkischen Übertiteln gespielt. Außerdem erarbeitet Sandra Strunz immer wieder eigene Projekte, manchmal mit der Dramaturgin Viola Hasselberg. "Vabanque – ein deutsch-polnisches Stück mit Bankräubern" ist ein Projekt mit jungen und alten Laien aus Deutschland und Polen, die von der Liebe und dem Alter, dem Geld und ihren Ländern erzählen. Oberflächlich erinnert der Ansatz an die Arbeiten von Rimini Protokoll, aber solche Recherchen in der Realität, die Nähe zum Dokumentarischen haben für Sandra Strunz eine vielschichtigere Bedeutung. Sie interessiert sich – wie schon die Zwillinge im Hamburger Ibsen beweisen – für Irritationen, wenn sich Kunst und echtes Leben, Schauspielprofis und Amateure begegnen. Auch eine ihrer neuesten Inszenierungen, "Die Brüder Löwenherz" am Theater Freiburg, zeigt diese Lust an Reibungen. Astrid Lindgrens Geschichte über einen todkranken Neunjährigen und seinen aufopferungsvollen älteren Bruder erzählt Sandra Strunz mit Schauspielern, Tänzern und Avataren. Die beiden Jungs (Schauspieler) schaffen sich ihre Fantasiegestalten (Tänzer), die von Videokünstlern mit Zeichnungen und Handkamerabildern verfremdet werden.

Vor allem ist Sandra Strunz in den letzten Jahren zur Expertin für neue Dramatik und Uraufführungen geworden. Reto Finger, Kathrin Röggla und Juli Zeh hat sie unter anderem inszeniert. Besonders gelang ihr Dirk Lauckes "Für alle reicht es nicht" am Staatsschauspiel Dresden in Zusammenarbeit mit dem Festival After the Fall des Goethe-Institutes. Laucke selbst mag es am liebsten, wenn seine genau der Gegenwart abgelauschten Stücke möglichst einfach und direkt inszeniert werden, ohne Regiezutaten. Sandra Strunz hat sich darum nicht gekümmert und gerade deshalb den Geist des Stückes genau heraus gearbeitet. Sie öffnet den Träumen der Figuren großen Raum mit Lichtwechseln und surrealen Stimmungen. Ein Cellist schafft starke Atmosphären, manche Melodien erinnern an Italo-Western. Zum Beispiel wenn Lauckes Antiheld Heiner über die Bühne marschiert. Heiner war Panzerkommandant bei der Nationalen Volksarmee. Frau und Tochter sind aus der DDR geflohen, Heiner blieb, wurde Alkoholiker, verlor seinen Job. Nun träumt er davon, Fahrten mit seinem Panzer als Freizeitevent anzubieten.

Ein Schmugglerpärchen hat einen verlassenen Laster auf der Landstraße gefunden, vollgestopft mit Zigaretten. Und mit illegalen Einwanderern. Gespenstisch und grotesk wirken die Asiaten in der Inszenierung von Sandra Strunz. Dass hier verzweifelte Menschen unter grausamen Bedingungen krepieren, spiegelt sich in den Gewissensbissen der Leute draußen. Sie müssen hart sein, um zu überleben. Aber Sandra Strunz zeigt ihre Gefühle und Träume, eine versucht sogar, sich moralisch zu verhalten und stirbt dabei. Mit dieser Mischung aus Sensibilität und dem Mut zu starken Bildern, der immer neuen Suche nach der richtigen Form und der Leidenschaft, sich immer wieder von Grund auf in Frage zu stellen, gehört Sandra Strunz zu den interessantesten Regisseurinnen ihrer Generation.

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